Jodeln in Berlin

„Die tiefe Bedeutung der Musik ist die Vereinigung des Menschen – mit sich selbst und seinem Nachbarn genauso wie mit dem höchsten Prinzip.“
Igor Strawinsky

„Zaure isch zaage, wo Gott hockt.“
(Zauren  /= „Jodeln“ in Appenzell AR/  ist zeigen, wo Gott wohnt.)
Zitat eines Appenzeller Bauern

„Music is the healing force of the Universe.“
Tocotronic zitiert Albert Ayler bei einem Konzert in Berlin 2018

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„Im Jodeln ist ein Sehnsuchtston zu vernehmen“ schrieb Goethe in den „Wahlverwandtschaften“. Und Joseph Ratzinger (papa emeritus), der in Bayern aufgewachsen ist, vermutete, dass der Heilige Augustinus das Jodeln meinte, als er vom Jubilus schrieb, er sei eine „Form wortlosen Rufens, Schreiens oder Singens“, bei der das „wortlose Ausströmen einer Freude“ so groĂź ist, dass sie alle Worte „zerbricht“. J. B. Sonntag (Wien 1846) sieht das in seinen „Bemerkungen ĂĽber steyermärkische Volksmusik“ ähnlich: „Der Jodler ist ein freier, muthiger, fast ĂĽbermĂĽthiger Gesang. Zum Jodeln bedarf es der schwachen gewöhnlichen Sprache nicht.“

Tatsächlich wohnt dem Jodeln etwas Ekstatisches und Heilsames inne. Dazu passte eine Online-Meldung der „Ă„rztezeitung“ 2005, die von der dpa deutschlandweit verbreitet wurde: An der Grazer Uni sei festgestellt worden, dass Jodeln gesĂĽnder sei als Yoga. So stand es auch lange Zeit auf dieser Seite. Leider handelte es sich dabei um eine Ente. Die Uni Graz – bald ziemlich missgelaunt ob der vielen Anfragen -, konnte noch so oft verneinen, das Ganze hatte sich verselbständigt – wohl nicht zuletzt, weil der Wunsch nach wissenschaftlicher Bestätigung heilender Wirkungen beim Singen und Jodeln so stark ist. (Dank an Dr. Wolfgang Dreier-Anders, der mich auf diese Falschmeldung hingewiesen hat – nach längerer Recherche und in Anlehnung an einen entsprechenden TV-Beitrag von SFR Puls am 12.9.2005.)

Allerdings auch ohne diese Bestätigung wissen alle, die es tun, dass Jodeln glĂĽcklich macht und dass man sich aus depressiven Ver-Stim-mungen herausjodeln kann. Oder  – wie Herbert Krienzer vom Steirischen Volksliedwerk das beschrieb: „Gesang auf Silben mit schnellem Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme – so lautet die lexikalisch nĂĽchterne Definition des Jodelns. Wer wĂĽrde da auf den Gedanken kommen, dass es sich dabei um ein Freudenfest fĂĽr Körper und Seele handelt? Jodeln ist kraftspendend und stimmungsaufhellend, es vermittelt Lebensfreude, innere Ruhe und tiefe Versenkung – ein akustisches Antidepressivum zum Nulltarif sozusagen.“

Diese Erfahrung machen seit 2006 BerlinerInnen, die sich – ungeachtet der meist an Loriot geschulten ironischen Bemerkungen ihrer Mitmenschen – in ein Stimm-Abenteuer stürzten, das ihnen nicht nur neue Klangräume eröffnete.
Der Kinostart von „Heimatklänge“ von Stefan Schwietert 2007 befeuerte die beginnende Jodel-Leidenschaft, wurde darin doch bewiesen, dass jenseits von allem Folkloristischen archaisch/ anarchistisch, befreit, leidenschaftlich und überaus lustvoll gejodelt werden kann.

Seither wächst die Zahl der Jodelwilligen bis  -sĂĽchtigen von Jahr zu Jahr. Was als „Heimwehjodeln“ einiger ZuzĂĽgler aus dem SĂĽden begann, scheint sich zu einer neuen Jodelbewegung auszuweiten.

„Jodeln in Berlin“ als Teil dieser neuen Jodellust beschränkt sich dabei nicht nur auf die Tradierung alpiner Formen des Jodelns.
Denn gejodelt wird auf der ganzen Welt.
Von Ă„thiopien bis Feuerland.


EINE KULTURGESCHICHTE DES JODELNS

Bayr. Rundfunk, 10. März 2015
http://cdn-storage.br.de/iLCpbHJGNL9zu6i6NL97bmWH_-bP/_-JS/52rG5ybH/9a3eff61-4382-455b-af0f-862242ea0d5c_2.mp3  
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